Interview mit Margit Czenki und Christoph Schäfer

Transcript of the entire interview with Margit Czenki & Christoph Schäfer, Park Fiction, Hamburg, 17 March 2013 (German)

 

Krenn: Lieber Christoph, wir spazieren gerade durch einen Park, der innerhalb des Projekts Park Fiction realisiert wurde. Könntest du die Vorgeschichte dazu beschreiben, wie und warum dieses Projekt und dieser Park entstanden sind?

Schäfer: Zur Vorgeschichte von Park Fiction gehört auf jeden Fall die Geschichte der Hafenstraße, weil hier einer der härtesten Häuserkämpfe in Hamburg/Deutschland ausgetragen worden ist. Das spielte sich vor allem in den 1980er Jahren ab. Im Winter 87, da waren die sogenannten Barrikaden-Tage. Eine Fraktion der Stadt wollte die Hafenstraße-Häuser räumen. Der damalige Bürgermeister Klaus von Dohnanyi war zu jener Zeit im Urlaub auf Sylt. Der Hausmeister einer Schule warnte die Leute von der Hafenstraße davor, dass gerade eine Pressetribüne für die Räumung aufgebaut wurde. Und das war dann das Signal, dass Barrikaden gebaut wurden. Es waren tausende Leute hier, welche den Widerstand unterstützt haben, das ging bis zu der Kirche der Gemeinde, der ST Pauli Kirche, die mitten im Park steht. Wie man weiß, sind die Häuser gerettet worden, es konnte eine Genossenschaft gegründet werden. Das dauerte allerdings sehr lange. Margit Czenki war damals wesentlich mehr beteiligt als ich. Ich war zu jener Zeit noch an der Kunsthochschule und hab mal geguckt, wie ich hier meinen Platz finden könnte.

Es hat sich ein Nachbarschaftsnetzwerk herausgebildet. Man hatte einen Riesen Erfolg verbucht, das zog Effekte nach sich: Die Leute im Viertel fühlten sich sehr ermutigt, weitere Projekte in Angriff zu nehmen. Die Stadt fühlte sich jedoch derart düpiert, dass es einen Bannmeilen Beschluss gab: Innerhalb von einem Umkreis von ca. 2 Kilometer um die Hafenstraße sollte es keine neuen unabhängigen sozialen Projekte mehr geben. Das Projekt Park Fiction entstand somit in einer unheimlich polarisierten Situation.
1993 gab es dann einen neuen Bebauungsplan, der auf Basis eines europaweit ausgeschriebenen Architektur- Stadtplanungswettbewerbs, ausgearbeitet wurde. Der sah vor, dass das Gelände, wo heute der Park steht, zugebaut wird. Der Musik-Klub Golden Pudel Club sollte abgerissen werden. Das Häuschen ist das älteste in St Pauli am Hafenrand, das heute noch steht.

Krenn: Ein Ausgangspunkt für die Realisierung von Park Fiction war, dass das Projekt zu Beginn öffentlich gefördert worden ist. Du hattest als Künstler ein Projekt im öffentlichen Raum zugesprochen bekommen…

Schäfer: Die Finanzierung war wichtig, aber die Initiative gab es schon vorher. Ich hatte damals mit Cathy Skene zusammengearbeitet und wir hatten ein Angebot von der Kulturbehörde ein Projekt im öffentlichen Raum zu entwickeln. Die Kulturbehörde wollte damals – entsprechend eines erweiterten Kunstbegriffes – Kunst fördern, die in den Stadtraum interveniert. Im Kunstdiskurs der frühen 1990er Jahre waren Stichworte, wie jene der Intervention und Partizipation sehr dominant und wir haben bei dem ersten Treffen, statt generell über Kunst im öffentlichen Raum nachzudenken, gesagt, wir möchten genau dieses eine konkrete Projekt hier an diesem Ort machen. Wir wollten einen parallelen Planungsprozess im Viertel organisieren, gemeinsam mit der Initiative vor Ort. Die Organisation einer Wunschproduktion für einen Park, ist natürlich auch von den Zapatistas und ihrer Idee des parallelen Arbeitens, beeinflusst gewesen. Das war ein Bruch mit einer klassischen linksradikalen Guerilla-Taktik, die hier einer etwas festgefahrenen autonomen Position entsprach. Eine solche klassische linke Politik, die immer wieder den Gegner vorführt und sich in eine Position begibt, in welcher sie zwar moralisch besser dasteht, aber realpolitisch eine Schlappe nach der anderen einfährt, schien uns eine etwas ausgelaugte Position zu sein. Die andere, die reformistische Position, man tut sich zusammen, beschwert sich, geht zu Politikern, ist allerdings ebenfalls äußert wenig erfolgversprechend und wir haben deshalb nach einem dritten Weg gesucht, wie man hier agieren kann. Diese Idee des parallelen Arbeitens und einen parallelen Planungsprozesses zu initiieren, hat uns plötzlich alle Möglichkeiten gegeben, nach welchen wir gesucht hatten. Das war der Versuch, das im Sinne einer Vorwegnahme eines Ortes des glücklichen Lebens, oder auch des kollektiven Genusses, etwas entsteht, das sich für alle Beteiligten lohnt. Das hat der ganzen Sache einen ganz anderen Drive gegeben, eine andere Offenheit, es konnten dadurch auch bisher nicht so direkt an den Kämpfen der Hafenstraße beteiligten Leute, mitmachen.
Wir sind dann eines Tages zu dem offenen Plenum des Nachbarschaftsnetzwerks gegangen, und haben es uns mal nur angehört. Beim zweiten Mal hatten wir dann drei Zeichnungen auf den Tisch gelegt und die Frage gestellt: Warum machen wir nicht Wunschproduktion? Die erste Zeichnung, die ich dafür gemacht hatte, war glaube ich, so ein Feld aus kleinen Protestschildchen, wo die ganzen Wünsche draufstanden und ich bekam sofort die Reaktion: O jaaa, so könnte man das machen. Wir haben dann von KünstlerInnenseite ein paar Begriffe eingebracht, das finde ich nach wie vor sehr wichtig für das politische arbeiten, genauso wie in der Konzeptkunst. Dann brauchten wir ein Bild zum Auftakt, sonst würden wir nicht mal einen kleinen Tagesbrief in der monatlichen Szenepresse bekommen. Der mutige Vorschlag war eine Hunderennbahn: Eine urbane Lösung für urbane Hunde! Stadt ist Verdichtung, Hunde müssen sich bewegen, es ist nicht genug Platz da, also müssen sie sich auf wenig Platz mehr bewegen. Deshalb machen wir für sie eine Hunderennbahn. Wir hatten dann auch eine  Zeichnung gemacht, sie an die Presse geschickt. Das war der Miniauftakt des gesamten Projektes. Eine Wunschproduktion im Sinne konventioneller Stadtplanung lehnten wir ab. Es ging uns nicht darum, dass wir uns hinsetzen würden, einen Fragebogen machen und uns künstlerisch komplett raus ziehen, sondern wir wollten auch eigene Ideen ins Spiel werfen, sozusagen den eigenen Einsatz auf den Tisch legen, denn sonst legen die anderen ihren Einsatz auch nicht auf den Tisch und man bekommt keine Antwort.

Krenn: Park Fiction ist eine Mischform aus kollaborativen arbeiten und einer partizipatorischen Kunstpraxis. Neben der gemeinsamen Arbeit in einer Gruppe habt ihr beispielsweise auch Fragebögen gemacht. Wo würdest du die Grenzlinie zwischen kollektiver und partizipatorischer Kunst ziehen?

Schäfer: Gute Frage: Ich habe den Begriff des Partizipatorischen immer abgelehnt. Ich finde es zwar wichtig, dass man in seinen Arbeiten ein Element hat, das auch als Plattform des Austausches funktionieren kann und ich glaube auch, dass es in der jüngeren Kunstgeschichte einen großen Bruch gegeben hat, der dazu geführt hat, dass man sich von der alten Vorstellung eines passiven Rezipienten gelöst hat. Es gibt da eigentlich kein Zurück mehr. Also man muss heute eine gewisse Zugänglichkeit gewährleisten und da spielt dann der Begriff der Partizipation hinein. Das Partizipatorische ist aber auch oft Teil einer Herrschaftsgeschichte, was mir gar nicht gefällt sind beispielsweise künstlerische Haltungen, die mit jenen eines Königs vergleichbar sind: Man lässt „großzügig“ partizipieren. Meines Erachtens sind wir gar nicht mehr in der Position als Künstler andere großzügig partizipieren zu lassen. Man denke an Projekte, wo sich etwa 1000 Leute nackt ausziehen dürfen, damit der/die KünstlerIn von ihnen ein Foto machen kann. Das gilt dann als ein „partizipatorisches Werk“. Aber der/die KünstlerIn bestimmt eigentlich von vornherein, was am Ende dabei rauskommen wird. Das ist ein Partizipationsbegriff, den lehne ich erst mal ab. Ähnliches gilt für pseudopartizipatorische Planungsverfahren von Architekten, die eigentlich Betrugsverfahren sind. Mitte der 1990er Jahre haben wir zwar das ganze Vokabular der Partizipation benutzt, es aber in ganz andere Prozesse eingebracht. Wir hatten eine militante Position, die ein Interesse verfolgte und das ganz deutlich gemacht. Es war klar, was wir wollen und was wir nicht wollen. Es war nicht alles offen. So war von Anfang an klar: Der Pudel Club soll stehen bleiben, wir wollen einen wirklich öffentlichen Raum haben, es darf nicht privatisiert werden usw. Wir hatten von vornherein eine Agenda auf einer politischen Interessens-Ebene. Das war von Anfang an Konsens in der Gruppe. Es bildete sich der Hafenrandverein und wir haben dann auch partizipatorische Tools eingebaut, so viele wie es uns möglich war.
Wir hatten intern z.B. folgenden Konflikt. Die Sozialarbeiter wollten eine Zukunftswerkstatt machen. Wir haben sie gefragt: Was heißt denn Zukunftswerkstatt? Es stellte sich heraus, dass Zukunftswerkstätten folgendermaßen funktionieren: Da wird ein positives und negatives Bild von einer möglichen Zukunft gemacht und an die Wand gemalt. Da dachte ich: „Nee, come on, das kann es nicht sein“ Es geht uns um Wünsche, um Ideen und um ein Begehren und deshalb haben wir gesagt: Nee, wir brauchen keine solche Zukunftswerkstatt und verwenden auch nicht diesen Begriff. Das hatte zur Folge, das gerade Leute aus der Sozialarbeit, die wenig mit dem Projekt zu tun hatten, auf uns zukamen und sagten: Aber warum benutzt ihr eine Sprache, die man nicht sofort versteht? Das ist ein wichtiger Punkt, da sollte man sich seine künstlerische Freiheit eigentlich nehmen und sagen: “Hey, wir lassen uns jetzt hier nicht das Denken verbieten.“ Auf der anderen Seite muss man natürlich Bilder finden, die allgemein zugänglich sind. Der Witz mit der Hunderennbahn ist natürlich sehr zugänglich. Da lachen Leute und das Lachen macht vielleicht schon für einen Moment ein Fenster auf, durch welches man sich etwas ganz anderes vorstellen kann.

[Christoph Schäfer gibt während des Gesprächs Foto-Tipps] Interessant wäre vielleicht auch der Blick auf das Elbphilharmonie, das ist die Schiene auf der sich Hamburg als maritime Talent Event-Stadt und Technologiestandort vermarktet. Ich finde es natürlich super, dass wir hier von diesem Park diesen tollen Blick darauf haben. Die Tatsache, dass sich hier am Hafen die Macht repräsentiert und man sehen kann wo in dieser Stadt das Geld hinfließt, und man es geschafft hat, dieses kleine Stück als öffentlichen Raum zu erhalten und dann auch noch von unten geplant, das finde ich von der symbolischen Wirkung her ein Hammer. Es ist natürlich auch gleichzeitig das Einfallstor, das von der Tourismusabteilung gemocht wird, aber ja…

Krenn: Jetzt müssen wir zurückgehen, weil ich Angst habe, dass meine Zehen abfrieren, so kalt ist es.

So schlimm ist es?

Ja, es tut richtig weh!
[Eine halbe Stunde später.]

Krenn: Liebe Margit, lieber Christoph, ich würde gerne mit euch über Raumtheorie sprechen. Christoph, du hast in einem Interview gesagt, dass – folgt man dem Stadttheoretiker Henri Lefebvre – wir alle im Verlauf der urbanen Revolution unser Alltagsleben in Dichtung verwandeln könnten. Könntest du deinen Begriff der Revolution und Dichtung noch weiter ausführen?

Schäfer: Meine Interpretation von Dichtung im Zusammenhang mit Henri Lefebvre ist, dass Henri Lefebvre seine künstlerische, politische Prägung im Kreis der Surrealisten hatte und damit beeinflusst von der französischen Bohème, sowie Faulheit und Arbeitsverweigerung war. Um es ganz knapp zu sagen, ein cooler Bohème Typ Ende des 19 Jhdt., jemand wie Rimbaud, der brauchte praktisch keine Produktionsmittel. Im Gegensatz zu einem Bildhauer aus derselben Zeit. Meines Erachtens ist ein Typ wie Rimbaud bis heute, vor allem wenn man Anfang 20 ist, eine coole Figur. Am Ende braucht man eigentlich nur das Café, wo man einen Zettel zugeschoben kriegt und sich vom Kellner einen Stift leiht um seine Dichtung aufzuschreiben. Ansonsten muss man sein ganzes Leben in Kunst verwandeln und eigentlich produziert man dann nicht mehr im Sinne von Arbeit. Und das Tragische da dran finde ich auf heute bezogen, dass wenn ich dich jetzt mit deinem Smart Phone sitzen sehe, die Arbeit in diesen kleinen Geräten verschwindet, sich entweder als Freizeit und Fun oder als etwas Künstlerisches verkleidet. Leute, die Dinge organisieren, die brauchen keinen großen Arbeitsapparat mehr, sie brauchen vielleicht nicht mal mehr ein Büro. Das Gefährliche ist glaube ich, dass diese Geräte dafür sorgen, dass das permanente Arbeiten dazu führt, dass sich die Arbeit auf die gesamte Lebenszeit, in jeden Raum der Freizeit hinein, ausdehnt. Gleichzeitig wird das als Fun, als Spaß kaschiert. Die Bohème ist das Modell dafür, nur wird sie unter umgekehrten Vorzeichen realisiert. Als Künstler zieht man im Prinzip keine Grenze, wo die Arbeit aufhört und die Freizeit anfängt. Das wäre ja fast albern.

Da ist jetzt ganz weit weg von der Revolution … [Lacht]

Krenn: Könntest du trotzdem noch mehr zu Dichtung und Revolution sagen?

Schäfer: Ich glaube, dass dieses Moment in dem man von der Fron und vom Zwang zur Arbeit befreit ist, ein Moment ist in dem es möglich ist sein Leben neu zu erfinden und sich in bestimmte Situationen zu spielen, bzw. welche zu erzeugen. Ich glaube, da kann man von einer Verwandlung von Leben in Dichtung sprechen. Da finde ich interessant, dass dazu die Stadt gehört. Die Stadt als der Ort der Verdichtung, was ja schönerweise im Deutschen im Unterschied zum Französischen sogar eine etymologische Wurzel hat: diese Dichte und die Dichtung. Das finde ich ist ein sehr schönes Moment. Die Revolution da drinnen, die ist natürlich einerseits schon sehr lange im Gange, ich würde sie aber eigentlich trotzdem in der Zeit, in der wir jetzt leben, ansetzen. Das heißt, ab dem Höhepunkt des Industriezeitalters, ab dem Moment, wo die volle Industrialisierung der Städte es fast geschafft hatte, die Stadt zu beseitigen und zu einem Anhängsel der Fabrik zu machen. In diesem Moment kehrt meines Erachtens, die Stadt zurück. In den Sechziger Jahren wird der Verlust der Stadt am aller meisten beklagt, es tauchen Gegenmodelle auf, von den Beatniks bis hin zu Subkulturen, all das kriegt eine immer größere Breite. Das schwingt auch bei sämtlichen Veränderungen, die zurzeit passieren, weiter mit. Ich glaube, dass die Möglichkeiten da sind, die Realisierungschancen von Gegenmodellen im Sinne der 1960er Jahre sind heute allerdings dennoch sehr klein.

Krenn: Zurück zum Raumkonzept, Henry Lefebvre spricht auch davon, dass der kapitalistische Raum ein absoluter Raum ist und den perspektivischen Raum, der von der Renaissance bis Anfang des letzten Jahrhunderts reicht, abgelöst hat. Dieses Verständnis, dass Raum produziert wird, aber auch, dass der Raum selbst produzierend ist, ist wohl auch ein zentraler Aspekt in eurer Arbeit. Was denkst du dazu Margit?

Czenki: Ich komme ja von der Erziehung her, ich hatte einen der ersten Kinderladen gemacht und hier beim Park auch noch ein Kinderhaus in Gang gebracht und geleitet. Es gab eine weit verbreitete Vorstellung in den 1950er Jahren bis in die späten 1960er Jahre, dass Kinder kleine Erwachsene wären. Man wusste im Grunde überhaupt nicht, was Kinder brauchen würden. Deshalb sind auch die ersten Kinderläden entstanden. Das regte mich damals zu den ersten Überlegungen zu Raum an. Als wir Ende der 1960er Jahre einen Kinderladen gegründet hatten, da ging es das allererstes Mal darum zu gucken, was brauchen Kinder überhaupt. Was machen sie von sich aus und bis wie weit kann man abwarten, ob sie überhaupt eine Anregung von außen brauchen. Ein Problem entsteht für ein Kind, wenn es sich in seinem Spiel festfährt, es immer die gleiche Wiederholung gibt, dann kann es aggressiv werden, weil nichts weitergeht. Hierfür ist auch der Raum von Bedeutung. Ganz konkret: Wir hatten einen Riesenraum, den wir entsprechend eingerichtet hatten, damit die Kinder in diesem Raum etwas von hier nach dort schieben konnten. Unsere Anregung passierte über das Material, und über die Gestaltung des Raumes. Was sie in dem Raum anstellten, blieb ihnen überlassen. Wir griffen also nicht direkt als Personen ein, sondern die Dinge und vor allem der Raum, der Raum wörtlich, beeinflusste das Spielverhalten der Kinder. Es gab ja die These in einem bestimmten Feld der Pädagogik, dass der Raum der dritte Erzieher sei. Das wusste ich damals auch noch nicht, ich hatte ganz andere Sachen gelesen, aber das war mein erster Ansatz. Es ging darum, wie Selbstständigkeit und Autonomie von Menschen durch einen Raum beeinflusst entstehen können. Das war eine erste zentrale Erfahrung für mich und ich habe das aber mit ziemlich wenig Theorie weitergesponnen.

Auch heute spielt bei Projekten von Christoph und mir dieses Raumverständnis das zu mehr Selbstständigkeit und Autonomie von Menschen führt, eine wichtige Rolle. Wir achten darauf, dass es innerhalb der Projekte einen Utopie-Teil gibt. Etwas, das einen weiterführt von da, wo man gerade ist. Bei Park Fiction war es so, dass ein konkreter Ort mit einer bestimmten Geschichte dermaßen weiter gestaltet wurde, dass man ihn schließlich als Park nutzen konnte. Hier hat bereits viel davor stattgefunden, was dann in unserem Projekt weitergeführt werden konnte. So wird von uns immer prinzipiell gedacht. Wie kann man ein Stück jetzt schon mit hineinnehmen und sichtbar machen, das einen schließlich dorthin führt, wo man hin will. Aktionen und Projekte, die sich nicht mit der Geschichte eines Ortes auseinandersetzen, finde ich auch daneben, muss ich sagen. Nur dagegen zu sein ist ebenfalls zu wenig. Natürlich muss man Nein sagen, man sollte aber gleichzeitig durch die Aktionen und Projekten neue Möglichkeiten aufzeigen, etwas das aus der gegenwärtigen Situation herausführt und zu etwas anderem führt.

Krenn: Bei sozialen Kunstprojekten der letzten Jahrzehnte spielt der Begriff der Partizipation eine wichtige Rolle. Wie bereits besprochen, kann Partizipation sehr unterschiedlich ausfallen. Es hängt davon ab, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden, wie die Prozesse verlaufen, aber auch, ob es bestimmte Ziele gibt, die erreicht werden sollen. Eine der wohl bedeutendsten und einflussreichsten Theorien dazu ist Nicholas Bourriaud‘s Relational Aesthetics welche eine ganze Kunstströmung (Relational art) begründet hat. Im Gegensatz zu eurem Ansatz spielt sich Relational Art jedoch vor allem in Kunstausstellungen ab. Die meisten Projekte, welche unter diese Kategorie fallen, begnügen sich damit, dass ein soziales Event innerhalb des Ausstellungszeitraums (oder sogar nur bei der Eröffnung) stattfindet. Es stellt sich nun die Frage, ob ein soziales Ereignis dieser Art tatsächlich schon politische Potentiale in sich trägt (wie von Nicholas Bourriaud behauptet). Ich denke man sollte Relational Art auf jeden Fall von Kunstpraxen unterscheiden, die dezidiert politisch sind. Der utopische Ansatz von Park Fiction, gekoppelt mit der konkreten Veränderung eines Ortes durch Wunschproduktion, lädt den Begriff der Partizipation schließlich ganz anders auf.

Schäfer: Im Zusammenhang mit der „Relational Art“ war vieles, das sehr erfolgreich war, eigentlich eine Poetisierung des Status Quo des Kunst Betriebs. Also ein Wurstverkäufer auf einer Eröffnung, der was lustiges anhat … Das funktioniert, mit sehr wenig Nachdenken verbunden, für eine Eröffnung ausgezeichnet als Mini Event. Da ist halt dieses Utopische, bzw. das Nein zu der Situation, in der man sich bewegt und zu dem was einem an dieser Situation stört, viel zu unausgeprägt. Da besteht ein enormer Unterschied zu Projekten wie Park Fiction. Auch dieses Projekt ist relational in vielen Punkten, gleichzeitig ist das Nein immer extrem ausgeprägt. Wir wollten eine bestimmte Nutzung dieses Raums, den Verkauf und das zubauen dieses öffentlichen Raums verhindern. Ohne dieses Nein hätten wir da gar nicht arbeiten können und auf diesem Nein entstehen andere Ideen. Das ist fast schon die Voraussetzung. Also die Phase wo Park Fiction am explosivsten war, in der Produktion von Wünschen oder Vorstellungen, war die Phase, wo die Stadt noch ganz klar auf „Das dürft ihr nicht machen!“ bestanden hat. Wo ganz klar war, wir entwickeln unsere Ideen gegen die offizielle Stadtpolitik. Das Nein gehört zu dieser Form von Produktivität dazu. Das ist auch ein ganz anderes Verständnis von Partizipation und Austausch, als es beispielsweise bei diesen Vereinnahmungsapparaten wie Facebook der Fall ist. Irgendwann werden die fade, man guckt sich gegenseitig an, was man gekocht hat, die Kinder-Fotos, wo man einkaufen war, oder wo jemand gerade im Urlaub ist, oder die Ausstellungen, die er/sie gerade macht. Die Faszination der Kommunikation, oder der Bruch mit dem Nicht Kommunizieren, wird in diesen Vereinnahmungsapparaten irgendwann verspielt. Es wird eigentlich gar nichts mehr sichtbar in dieser Form der Kommunikation und das Ganze wird nur mehr anstrengend.

Ein noch besseres Beispiel wären diese partizipatorischen Mittel, die in Betrieben eingesetzt werden, wo es dann um Innovation geht und die Leute beteiligt werden, damit die Abläufe besser funktionieren. Oft gerät so etwas sehr schnell ins Stocken. Kreativität oder Innovation haben vielmehr mit der Idee dieses Neins und der Ablehnung einer bestimmten Situation zu tun.

Krenn: Inwiefern kann ein Site-spezifisches Projekt auch eine Modellwirkung für andere Kontexte entfalten? Ihr habt das Archiv von und die Dokumentation über Park Fiction ja auch an anderen Orten, wie z.B. der Documenta 11 in Kassel gezeigt.

Czenki: Ich war ein viertel Jahr in Dakar in Senegal. Das Goethe-Institut wollte unbedingt, dass ich dort Park Fiction vorstelle, also habe ich auch Christoph nachgeholt. Zuerst dachte ich: Was wird die das interessieren? Das wird dort niemand verstehen! An dem Abend, als wir das Projekt vorgestellt haben, hatten wir einen sehr guten Übersetzer und es waren viele StudentInnen da. Wir haben die Positionen des Projektes vertreten, alles erzählt und dann gab es eine heftige Diskussion. Zwei Wochen später haben die StudentInnen der Universität in Dakar einen Antrag gestellt, dass sie Geld für einen Sport-Parcour unten am Strand bekommen sollen. Es gibt dort keine Turnhallen, keine Sportstätten. Aber abends, wenn es nicht mehr so heiß ist und die Arbeit zu Ende ist, dann machen tausende von junge Menschen am Strand Sport. Wenn es nicht mehr so heiß ist und die Arbeit zu Ende ist. Es gibt auch einen selbst gebauten Parcour, ein Trimm dich Pfad, den sie aus irgendwelchen Schrott gemacht haben. Die StudentInnen wollten nun eine Wunschproduktion durchführen, mit den Studierenden und mit den Leuten, die da jeden Abend trainiert haben. Dazu muss man sagen, dass dieser Strandbereich durch immer mehr Hotelbauten bedroht war. Das war der springende Punkt. Der einzige Raum, den sie für sich hatten, war bedroht. Dann ging der Vorschlag auch zur Botschaft und die haben mich gefragt, wie ich das Projekt einschätze und ob man es fördern solle. Schließlich haben die StudentInnen ein richtiges Konzept geschrieben, angelehnt an Park Fiction, sie haben Begriffe daraus verwendet, aber mit ihren Inhalten gefüllt. Das heißt, man kann das Konzept von Park Fiction offenbar in andere Kontexte übertragen. Natürlich nicht eins zu eins, bei uns ist eine spezielle Situation: St Pauli, diese Straße und diese Gegend. Das Prinzip ist aber dennoch übertragbar: Du nimmst etwas in die eigene Hand, du ermächtigst dich, du machst eine Wunsschproduktion, sagst nicht nur: Ich will das jetzt! Sondern, setzt etwas über Jahre in Gang und dabei entstehen immer neue Dinge. Die Wunschproduktion muss Tiefe haben. Diese Tiefe, die wirkt sich aus. Auch bei anderen Projekten in Hamburg bezieht man sich auf Park Fiction. Bei Park Fiction wurden Formen gefunden, durch welche alle die partizipieren wollten, auch wirklich partizipieren konnten. Es wurde deshalb absichtlich nicht immer mit einer Stimme geredet. Beteiligt waren Leute aus der Sozialarbeit, aus der Schule, autonome Linke und KünstlerInnen. Es war immer ein soziales Projekt, ein Kunstprojekt und auch ein politisches Projekt. Es war nie der Anspruch, dass wir alle mit einer Sprache reden sollten, sondern die Vielfalt und die Widersprüche blieben erhalten. Man hat einander zugehört und solidarisch aufeinander geguckt und im Zweifelsfall zusammengehalten, das macht Park Fiction aus. Es ist ein Kulturbruch mit traditioneller linksautonomer Politik und auch eine andere Form des Kampfes, eigentlich eine andere Form des Lebens.

Krenn: Ich glaube auch, dass bei einem künstlerischen Projekt, das dazu einlädt sich zu beteiligen und mitzumachen und das kooperativ erarbeitet wird, wesentlich spannendere soziale und politische Prozesse ausgelöst werden, als wenn man sich als Künstler mit symbolischer Politik begnügt, man sich – bildlich gesprochen – mit einem Protestschild auf die Straße stellt und meint dabei schon Widerstand zu leisten. Dieses Nein, das ihr vorher angesprochen habt, ist ein Nein, das permanent verhandelt wird. Wenn es eine demokratische Struktur innerhalb eines Projektes gibt, dann wird es auch mehrere Neins geben, die parallel wirksam werden können.
In Hamburg gibt es “Recht auf Stadt”, ein Netzwerk aus 63 Hamburger Initiativen, zu dem auch Park Fiction gehört und das sich laut Selbstbeschreibung „für bezahlbaren Wohnraum, nichtkommerzielle Freiräume, die Vergesellschaftung von Immobilien, eine neue demokratische Stadtplanung und die Erhaltung von öffentlichen Grünflächen einsetzen; für das Recht auf Stadt für alle Bewohner_innen – gegen Gentrifizierung, Repression und neoliberale Stadtentwicklung.“ In diesem Zusammenhang wart ihr auch an einem Projekt mit dem Namen NOBNQ beteiligt, könnt ihr darüber etwas erzählen?

Czenki: Es ist unglaublich affig, ein Projekt NOBNQ zu nennen, aber das Wort stammt eigentlich von den Investoren. Die Bezirkspolitiker und Investoren Köhler & von Bargen wollen in einem historisch gewachsenen Stadtgebiet, in welchem auch wir wohnen, und zwar in der Bernhard-Nocht-Straße und Erichstraße im Süden St. Paulis ein sogenanntes BNQ – Bernhard-Nocht- Quartier bauen. BNQ klang so affig, dass man nur sagen konnte NOBNQ! Bei den ersten Treffen der NOBNQ Nachbarschaftsinitiative ging es den Leuten vor allem darum, dass sie nicht aus ihren Wohnungen rausfliegen wollten. Das ist auch nicht passiert. Wir haben Verträge auf zehn Jahre mit der alten Miete und super renovierte Wohnungen erkämpft… also das hat geklappt! Der Investor hat letztlich eingelenkt, als er gemerkt hat, was hier los war. Nachdem das erreicht worden ist, sind allerdings einige nicht mehr zu den Treffen gekommen. Die geplanten Eigentumswohnungen, die Teil der Umstrukturierung und Gentrifizierung sind, erkannten sie zwar als Problem, aber es reichte für sie nicht aus um sich weiter zu engagieren.

Krenn: Um eurem Protest Ausdruck zu verleihen, habt ihr am Anfang Fähnchen designt…

Czenki: Am Anfang hatten wir nach einem Symbol gesucht. Zu den Fähnchen kam es, weil ich gedacht hatte: So diesmal gehen wir gleich mit einem Symbol an den Start. Christoph hat dann den Schriftzug gemacht und ich hab die Fähnchen gemacht und gedruckt. Mir war klar, es wird sehr schwierig werden, weil Leute Angst haben vor so einem großen Investor. Es war klar, das sind Nachbarn, die haben noch nie etwas politisch gemacht. Sie benutzen zwar den Park, machen mal eine Pflanzaktion, aber sich wo hingestellt, haben die einfach noch nie. Bis auf zwei. Da war klar, man braucht von vornherein ein Symbol, das beim Fenster rausgehängt wird, damit es die anderen sehen und sich denken: Oh der traut sich das jetzt, also der ist jetzt dabei, dann kann ich ja auch mal sagen, ich bin dabei … Dann war wichtig, dass es keine Fahne oder ein Transparent sein sollte mit einer dermaßen komplexen Aussage, auf welche man sich nie einigen könnte. Es musste etwas abstrakteres sein: Eine Wimpel. Das gibt es auch beim Fußballklub FC ST Pauli. So einen Wimpel hängen ja alle raus und der nimmt auch nicht so viel Platz ein, dass du das Fenster verdeckst. Der Hausbesitzer kann nichts sagen, wenn du einen Wimpel raushängst, bei einer Fahne, oder einem größeren Teil, einem Transparent, bekommst du aber schnell Ärger. Also es musste etwas sein, das niederschwellig ist und wo man sich zu erkennen gibt. Es sollte ein ungleichschenkeliges Dreieck sein, das ist wichtig, damit es nicht an den gelben Winkel der Nazi-Konzentrationslager erinnert. So ist das entstanden.

Schäfer: Wir hatten schon überlegt, wir wollten kein rot, wir wollten kein weiß, auch kein schwarz, wir wollten keine Anklänge an die klassische St. Pauli Fan-Ästhetik, Schwarz/Weiß Totenkopf oder so, die Farbwahl ging dann auf Gelb …

Czenki: Nee …, die ersten waren kariert,  bearbeitet, allerdings Rosa und Weiß. Wir bekamen dann den Stoff nicht mehr, so ist es gelb geworden. Gelb kariert ist auch völlig unverdächtig. Gastlichkeit … da kann jeder mitmachen. Bei NOBNQ ging es darum, dass sich die Leute nicht vereinnahmen lassen wollten von vornherein, deshalb haben wir auch andere Themen völlig rausgehalten, wir haben uns immer auf das bezogen, worum es hier geht. Das geht ja schon sehr weit, es geht darum, wie willst du leben, willst du anders leben …

Krenn: Wie steht ihr zur Occupy Bewegung?

Schäfer: Hier in Hamburg wurden eigentlich schon davor, durch die Recht auf Stadt Bewegung, viele ähnlich Fragen aufgeworfen. Nachdem Occupy in den USA entstanden war, haben in Hamburg auch einige Leute einen Platz besetzt. Sie wussten allerdings zu wenig, was sonst noch in der Stadt gerade los war. Das war ein bisschen schwierig. Ich glaube, dass es auch bei so einem Camp wichtig ist über die lokale Situation Bescheid zu wissen. Auch wenn da viele neue Leute dabei sind, ist es wichtig, dass da fünf bis zehn Leute dabei sind, die Erfahrung haben und etwas Langfristigeres machen. Vieles von dem kreativen Potential gibt es ja bereits hier im Gängeviertel unter Optionen die langfristig haltbar sind.
Czenki: Occupy hat hier eigentlich keine Rolle gespielt, bis heute nicht …
Schäfer: Ich sehe Occupy in allererster Linie als einen Versuch in den USA aus der Passivität, den reinen Rückzugsgefechten der Linken rauszukommen. Ich glaube, dass sie das sogar geschafft haben, da wird, glaube ich, noch viel daraus entstehen. Ich fand, dass es ein paar neue tolle Methoden gab. Ich konnte es kaum fassen, dass man die Wall Street besetzt hatte. Großartig! Und dass man mit Körpern gegen ein sehr abstrakt gewordenen Bereich angeht.

Krenn: Welche Organisationsformen fallen euch ein, damit Protestbewegungen, die sich nicht auf ein bestimmtes Ziel fixieren und viele unterschiedliche Gruppen einbeziehen, wirkungsmächtiger werden? Ich meine nicht nur auf Hamburg bezogen, sondern allgemeiner betrachtet, in Bezug auf die Occupy bei Bewegung, oder die große europäische Unibrennt Bewegung im Jahr 2009.

Czenki Ich denke, dass es rotierende Gruppierungen geben sollte, die gewählt werden, wo alle einverstanden sind, dass sich die jetzt noch einmal gesondert zusammensetzen und etwas formulieren. Sie sollten eine Weile von allen das Vertrauen haben, auch wenn sie es anders machen sollten, als man es selber gemacht hätte. Rotierende Pressure-Groups, die dann sprechen dürfen und nicht jedes Wort mit allen durchdiskutieren müssen. Wichtig ist, dass rotiert wird, dass es nicht immer die gleichen sind. Wichtig ist aber auch, dass sich eine gewisse Konstanz herausbildet. Dass nicht eine völlig neue Gruppe gebildet wird. Zum Beispiel: drei bleiben und drei kommen dazu. Da kann man noch etwas zu Park Fiction sagen: Bei den Stadt-Teil Konferenzen, wo ja abgestimmt wurde, ging es immer darum, dass etwas entstehen soll, wo ein Wunsch mit größter Leidenschaft dahintersteckt. Damit nicht jemand sagt, er will das und kommt dann aber einfach die nächsten sechs Mal nicht. Wenn Leute da sind, die wirklich was wollen, die nehmen das dann auch in die Hand. Das verstehe ich auch unter Basis Demokratie. Nicht nur so eine blöde Abstimmung, sondern, dass es um etwas geht, wo man wirklich dahinter steht. Das gibt es ja auch Leute, die ganz radikale Töne spucken, andere dadurch ausschließen, selber sitzen sie aber zuhause in ihren Eigentums Wohnung.

Krenn: Ja, das Problem der Selbstdarstellung.

Czenki: Es gibt Leute die verantwortungslos Sachen vorantreiben und dann einfach nicht mehr kommen. Ausführen sollen es dann sie anderen …

Schäfer: Das Rotationsprinzip wäre ja eines der Allmende Prinzipien, nach welchen menschliche Gruppen immer schon Gemeinschaftsaufgaben geteilt haben. Im Prinzip gibt es ja nur das Los-Verfahren, Rotation – jeder kommt mal dran, oder Mehrheitsbeschlüsse.

Krenn: Oder es gibt gar keine organisierte Struktur, dann haben aber meist die das Sagen, die am häufigsten anwesend sind. Das ist auch nicht unbedingt das Beste.

Czenki: Oder die, die am meisten reden …

Schäfer: Ich habe jetzt aber auch mehrere Gruppenzusammensetzungen erlebt, die dann in so eine Phase gekommen sind, wo das Momentum vorbei ist, wo man etwas bewegt hat, wo man sich aber weiter trifft, obwohl die Gruppe ihre Ziele nicht erreicht hat. Es tauchen dann irgendwann nur mehr die Leute auf, die sonst kein soziales Leben haben. Das kann ich zwar niemanden vorwerfen, aber diese Leute agieren oft in diesen Gruppen etwas ganz anderes aus. Da denke ich: Um so etwas auszuagieren, da gehe ich lieber in eine Kneipe, oder ich gehe tanzen, oder ich überlege mir irgendetwas, das ich als Performance mache, um mein Aufmerksamkeits-Defizit zu stillen. Dafür brauche ich keine politische Gruppe.
Das ist ja das Schöne an der Freiheit der Kunst, dass man etwas macht, weil es vielleicht schön, beeindruckend, oder interessant oder rätselhaft ist. Man findet vielleicht fünf Leute, die das auch so sehen. Das ist ja auch sehr beglückend und das hat erst mal mit Politik wenig zu tun. Ich glaube, dass das wichtig ist im Zusammenhang mit der Rolle der Kunst, dass wir da eine andere Kultur entwickeln. Wie Margit bereits gesagt hat, man arbeitet mit einem Vertrauensvorschuss. Manchmal hat man jedoch den Eindruck, diese Verteilung der Aufmerksamkeits-Ökonomie ist das zentrale Issue und wird wichtiger als das politische Ziel, dass man gerade verfolgt. Das hat uns in Hamburg in den letzten zwei Jahren wahnsinnig viel Energie gekostet.

Czenki: Es ist doch so, dass jeder irgendwann mal eine Idee hat, dann ragt er in diesem Moment heraus. Dann ist aber wieder weg. Es ist die Frage, ob die anderen das aufgreifen. Ob seine/ihre Idee von mehreren in die Hand genommen wird. Dann gäbe es die Chance, dass Leute, die normalerweise fast nie ein Wort sagen, dann in einer kleinen Gruppe größer werden und sich schließlich mehr zutrauen. Durch ein solches Rotationsprinzips würden genau die Leute zu Wort kommen, die sonst nie etwas sagen. Bei einer Gruppe von einhundert Leuten, kann man es sich ja ausrechnen, wie groß die Rotations-Gruppen sein sollten, damit man noch arbeiten kann und das Erarbeitete wieder zurückvermittelt werden kann. Ich war früher in politischen Gruppen, wo genau das nicht passiert ist, wo man als Mensch nicht mehr sichtbar war, gerade in der Flüchtlings-Arbeit. Ich habe dann bis zum Exzess erlebt, dass du mit Leuten zu hast, mit welchen du nur über ein Thema redest, was sie sonst noch tun, davon hast du keine Ahnung. Du triffst sie aber jede Woche. Da wird es auch gefährlich in Bezug auf Spitzel … […]
Ich muss natürlich nicht jeden zum Freund haben in einer Gruppe, aber es sollte eine gute Mischung sein. Es kommt auch ganz auf die Ziele an.

Krenn: Kommen wir wieder zur Kunst zurück. Es ist ja auch nicht unproblematisch, wie engagierte politische und partizipatorische Kunst vereinnahmt wird. Es gibt keinerlei verbindliche Kriterien, weder für die Produktionsbedingungen, noch für die Gestaltung und Ausführung dieser Kunst. Deshalb suche ich nach Kriterien und versuche eine theoretische Grundlage für das Politische in der sozialen Kunst im Rahmen meines Dissertationsprojektes zu finden.

Schäfer: Vielleicht liegt ein Unterschied zum Partizipatorischen, dass bei der Wunschproduktion auch die Subjektivität mit hinein kommt. Das Partizipatorische ist eigentlich schon so ein Verwaltungs-Sprach- Gebrauch. Im Unterschied dazu, eine Wunschmaschine ist auch eine Maschine und das ist ein anderes Verständnis von Intersubjektivität. Das kann auch eine diabolische Maschine werden. Eine Wunschmaschine muss nicht unbedingt gut sein. Im Gegensatz zum partizipatorischen Verfahren, ist sie ein aggressives Gerät. Ansonsten würde ich fast alles unterschreiben, dass du da beschreibst.

Krenn: Es stellt sich dann jedoch die Frage: Kann man (als KünstlerIn) in so einer Wunschmaschine tatsächlich autonom agieren? Wäre es nicht vielleicht ehrlicher zu sagen: Ich mache ein partizipatorisches Projekt, die Leitung liegt aber bei mir. Es kann ein Projekt sein, das von dem Konzept der Wunschmaschine inspiriert ist, es wird aber trotzdem von mir ein gewisser Rahmen vorgegeben (der zwar von den TeilnehmerInnen verändert werden kann, aber nur so lange ich damit einverstanden bin). Die Handschrift des/der ausführenden KünstlerIn würde dadurch offen angesprochen werden.

Schäfer: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, aber ich glaube das da ein Unterschied ist, es gibt Situationen wo ein starkes Momentum erzeugt wird, wo ein Gruppenspirit da ist, oder Vibes, eine Atmosphäre, in der man sich zutraut wirklich alles neu zu definieren, was man machen möchte. Da ist dann so viel an Kunst, die ich machen möchte, drin, nämlich das ganz Klassische, der Künstler definiert ein Set of Rules, Gesetzmäßigkeiten, neue Perspektiven usw… Wenn das bereits im Gruppenprozess enthalten ist, dann sind das potentiell revolutionäre Situationen, auch wenn sie vielleicht rein äußerlich ganz klein sind. Dann kann ich mit dem Kunstbegriff an sich gar nichts mehr anfangen, ich finde ihn sogar langweilig.

Krenn: Aber du bist trotzdem aufgrund deines Berufs Künstler immer auch als solcher aktiv und hast im Kunstsystem deinen Platz, den du dir auch erkämpfen musstest. Der ist dir ja nicht einfach so zugeflogen…

Christoph Schäfer: Ja, das stimmt. Das ist ja eine hochkomplizierte Frage, weil sie zum Beispiel mit der Zeittaktung des Kunstbetriebs und die Zeittaktung von politischen Notwendigkeiten oder von gesellschaftlichen Bewegungsdynamiken zusammenhängt. Manchmal ist die Kunst weiter vorne, aber da täuscht sie sich auch oft, denn so oft ist sie das nicht. Meistens ist sie hinterher. Es dauert oft viel zu lang, bis sich etwas rum spricht und bis das aufgegriffen werden kann, und dann ist das Momentum längst zerflossen. Das macht auch jede Form der Finanzierung sehr schwierig.

Krenn: Ich fände es wichtig, dass man zumindest ein überschneidendes Vokabular und eine theoretische Basis hätte, um sich etwa gemeinsam von neoliberalen Tendenzen abgrenzen zu können. Das muss jetzt nicht unbedingt über dem Begriff des Partizipatorischen passieren, ich bin kein Verfechter von diesem Begriff, ich finde ihn eher sperrig und schwierig. Im Gegensatz zu Partizipation steckt für mich jedoch ein emanzipatorisches Potential in dem Begriff. Aber auch der Begriff Wunschmaschine ist vom Kunstbetrieb vereinnahmt worden, er wird heute genauso wie Partizipation als Platzhalter für die unterschiedlichsten Dinge, die oft nichts mit der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs zu tun haben, verwendet.

Christoph Schäfer: Ja, natürlich. Aber du hattest auch den Begriff emanzipatorisch dazu gesetzt, für mich wäre da auch anti-autoritär wichtig, bloß das Problem ist, dass diese Begriffe Partizipation und Partizipatorisch schwammig sind, es ist natürlich leichter möglich, diese Begriffe zu missbrauchen. Der Begriff wird verkleidet oder dient der Verkleidung. Das ist zwar ein Problem, andererseits würde man vielleicht überhaupt keinen Job mehr als dezidiert linker Künstler bekommen, wenn man partizipatorisch eindeutig durchdefiniert hätte.

Margit Czenki : Ich sehe das Problem gar nicht so wie du, es ist doch normal das Sachen immer vereinnahmt werden. Das ist doch der Witz am Kapitalismus. Es gibt etwas neutrales, oder etwas Gutes, oder fortschrittlich, oder sozialistisches und dann vereinnahmt es der Kapitalismus und dann wird es zur Farce oder zur Mode. Am Ende ist es ein Trend, obwohl es ursprünglich etwas Handfestes und etwas Wichtiges war, das in Richtung einer anderen Gesellschaft, oder eines anderen Leben gezeigt hat.

Christoph Schäfer: Ich glaube es geht um etwas anderes, in der Zeit der konzeptionellen Kunst zum Beispiel, hatten die Künstler die Definitionsmacht bestimmte Sachen auszuschließen, die gehörten damals einfach nicht dazu. Das waren dezidiert linke Positionen, und die haben konzeptionelle Kunst so definiert, dass bestimmte reaktionäre Positionen, sich entweder nicht getraut haben sich so zu nennen oder sie einfach nicht mehr so nennen wollten.
Mir ist das zum Beispiel ursprünglich bei dem Lueger-Denkmal Projekt gar nicht aufgefallen, dass es da einen partizipatorisch Anteil gibt. Das ist aber ein fantastisches Beispiel auch in Bezug auf die Ausschreibung als Diskursverschiebung, die so etwas auslöst! Von daher hat der Begriff des Partizipatorischen schon seine Berechtigung. Plattform des Austauschs passt für mich zu Projekten wie jene von Sarai, Raqs Media Collective und Cybermohalla, AAA (atelier d’architecture autogerée), teilweise für Ala Plástica, sogar für Anteile von Jeanne van Heeswijk trifft so etwas zu, oder auch Andreas von public works, auch bei Anne Marie Dillon gibt es eine solche Offenheit. Das ist glaube ich so ein zentraler Paradigmenwechsel, der auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen gerade passiert. Der mit einer tiefgehenden Demontage des Werkbegriffs einhergeht.
Diese Funktion hat vielleicht auch so eine Doktorarbeit. Du fasst einmal deine Sicht der Dinge zusammen. Und machst eine komplexere Sicht möglich.

Krenn: Die Frage nach der Autonomie und der Ästhetik ist für mich auch sehr wesentlich. Da befindet man sich bei einem Community-based Project, oder einer Plattform des Austauschs immer in so einem Spannungsverhältnis zwischen dem permanenten Verhandeln mit anderen und der Suche nach einer eigenen individuellen Position, unabhängig von den anderen.

Czenki: Es gibt dann schon schwierige Situationen, bei Christoph war es zum Beispiel so, dass er einfach mal wieder etwas alleine machen wollte… Was ich gut verstehen kann. Man mag einfach nichts mehr diskutieren. Deshalb habe ich auch den Spielfilm Komplizinnen gemacht. Das war ja bewusst kein Dokumentarfilm. Den kannst du erst mal machen und dann können sich alle daran reiben. Bei einem Dokumentarfilm musst du dir immer hineinreden lassen.
Der Film Park Fiction ist ja so eine Mischung, ist eine Collage, ist ja nicht ein purer Dokumentarfilm und da bin ich mit dem Konzept zu der Gruppe, ich gehörte da noch nicht zur Gruppe, ich hatte da das Kinderhaus gemacht und hab gesagt: so will ich‘s machen und wenn ich dann aber drehe, möchte ich das mir nicht mehr reingeredet wird. Ihr könnt jetzt was dazu sagen, aber dann nachher diskutiere ich das nicht. Da waren alle einverstanden damit.

Krenn: Das ist wirklich sehr positiv, wenn man einen Vertrauensvorschuss bekommt.

Czenki: Auch für die documenta Ausstellung haben praktisch wir beide das Konzept gemacht, da waren hier schon einige total beleidigt. Sie meinten: „Ihr habt das einfach gemacht und wir konnten nichts dazu sagen“. Aber das wäre nie eine Ausstellung geworden, hätten wir es mit dieser Gruppe, wie sie damals zusammengesetzt war, gemacht. Das wäre nie eine Ausstellung geworden, das wäre ein Sammelsurium geworden. Das ist eben einer von solchen Konflikten in welchen man sich befindet.

Krenn: Ich finde es sehr wichtig, dass ihr die Ästhetik und die künstlerische Praxis hochhaltet. Nicht so, wie manche andere, die einerseits eigentlich ganz schön karrieristisch unterwegs sind, dann aber so eine Attitüde vor sich hertragen und sagen: Mir ist der Kunstbetrieb völlig egal und die Kunst eigentlich auch. Ich benutze die Kunst nur als Vehikel, um politische Inhalte zu lancieren. Sie haben ein revolutionäres Selbstbild, sind aber innerhalb des Kunst-Betriebs total angepasst.

Czenki: Also der Kunstbetrieb ist mir richtig egal, da verstehe ich auch nichts davon. Da habe ich mich nie damit beschäftigt. Christoph ist es wichtig, mir nicht. Aber Kunst ist mir wichtig. Aber der Kunstbetrieb, ich mag ihn auch gar nicht durchschauen. Ich will mich nicht einmal damit beschäftigen.

Krenn: Ich glaube, ich muss mich damit beschäftigen, solange ich keinen anderen Beruf ausübe. Schließlich lebe ich von der Kunst und meiner Lehrtätigkeit die ich ebenfalls als einen Teil meiner künstlerischen Praxis auffasse. Der Kunstbetrieb ist von Macht durchzogen, wie jeder andere gesellschaftliche Bereich auch. Innerhalb dieser Strukturen muss man agieren. Deshalb glaube ich, dass es immer Teil einer kritischen linken Kunstpraxis sein muss, den Kunstbetrieb zu kritisieren, zu reflektieren und auch mal gezielt zu attackieren. Dabei ist es hilfreich, immer wieder kritisch die eigene Position reflektieren. Gerade in der gegenwärtigen Situation, finde ich es wichtig, die institutionskritische Kunst zu aktualisieren und zu radikalisieren, also an die Wurzeln der institutionskritischen Kunst zurückzukehren. Die neoliberalen Strukturen des Kunstbetriebes und Kunstmarktes werden immer weniger vereinbar mit den Anliegen der politischen und sozial engagierten Kunst.

Schäfer: Das finde ich auch. Was wirklich frappierend ist, wenn man mal eine Parallele zu der Strategielosigkeit und Ziellosigkeit von Occupy zieht, dann haben wir ja ein ähnliches Problem. Warum setzen wir uns nicht als Künstler zusammen, schreiben unsere Agenda auf, und wenn du das und das machst, gehörst du einfach nicht dazu. Das wäre tatsächlich mal eine Herausforderung. Diese Definitionsmacht zu erlangen, da müsste man vielleicht mal so eine Agenda schreiben. Ich weiß nicht, wie man das machen könnte, aber ich meine jetzt keine Verbotsagenda, also zum Beispiel du darfst nicht mit dem oder jenem Galeristen sprechen. Worauf ich hinaus möchte, es gab ja einmal so etwas wie eine Idee von linker Ästhetik. Linke Ästhetik war Ästhetik des Bruchs, reaktionäre war die des nahtlosen Flusses. Wir stehen natürlich heute vor dem Problem, wenn man sich The Wire anguckt, dann arbeitet das mit der Ästhetik des Bruchs, bricht aber gleichzeitig nicht mit Betrachtungskonventionen. Es hat sich in der Zwischenzeit sehr gut durchgesetzt, dass man so was gucken kann, und dem Flow der Story folgen kann. Dieses ganze Vokabular, das stimmt alles nicht mehr. man kann heute nicht mehr sagen, das ist linke, oder emanzipatorische Ästhetik. Wir rufen revolutionäre Bildtraditionen auf, dagegen ist nichts zu sagen, aber das passiert in der Werbung unter Umständen genauso. Von daher denke ich, bräuchten wir das jetzt tatsächlich. Wir bräuchten da ein Update, wie eine Agenda aussehen könnte oder ein Manifest.

Also darauf zu vertrauen, was Simon Sheikh da über einen schreibt oder Claire Bishop, die führen da ihre Gefechte aus, wir führen die aber untereinander nicht so aus. Wir sollten sagen: So, das ist hier unsere Position und das sind die Leute die dazu gehören. Das wäre dann unter Umständen sehr machtvoll.